Das Leben eines Sitzungspräsidenten

Lass dir hier den Text von unserem Sitzungspräsidenten Jens vorlesen oder finde ihn unten zum Nachlesen

 

 

Das Leben als Sitzungspräsident - Alles nach Plan (?!)

 

Samstagmorgen. Eine WhatsApp in der Elferratsgruppe. Dieter fällt aus wegen Erkältung. In der Vorabplanung hatten sich 3 Elferräte abgemeldet, einer wollte König sein, die 2 anderen ihn unterstützen. Schlau wie ich war hatte ich eine Reserve eingeplant. Aber schon vor 2 Wochen hatte sich auch Flinte abgemeldet. Somit hatte ich jetzt nur noch 10 Räte am Tisch. Verdammt. Moment, Irgendwer hatte beim Aufbau vom Elferratstisch seine mögliche Bereitschaft gemeldet. Karsten! Schnell anrufen. Kindergeschrei im Hintergrund und ich höre nur irgendwas wie "Ja, geht klar, alle 3 Kinder gesund, Frau ist auch entspannt". Puh, Entspannung auch bei mir. Top Vorbereitung. Läuft.

 

Um 10 treffen wir uns zum Aufbau der Musik für den DJ, der nach der Sitzung die Leute unterhalten soll. Im Foyer noch kein Podest. Der Hausmeister brabbelt was auf Sächsisch von "Nuu die sinn im Gella - du weest scho". "Ähh Philipp?", mein Co-Moderator an diesem Abend, "weißt Du wo?" Philipp nickt leicht. Er weiß einfach alles. Vor allem alles besser. So, die schweren Podeste flott ins Foyer gewuppt, Boxen aufeinandergestellt, alle Kabel an Verstärker und Mischpult. Erster Soundcheck. Dann der Schreck. Philipp zieht alle Schieberegler nach unten. Eigentlich sollte jetzt kein Ton zu hören sein, trotzdem trällert es aus den Boxen. Nochmal die Verkabelung kontrollieren. Wo bekommt man samstags ein Ersatz-Mischpult her? Doch dann, ein vermeintlich falsch gestecktes Kabel. Umstecken, ein lautes Plopp. Die Musik verstummt. Angst. Ist das richtig so? Mit einem Grinsen zieht Philipp den Regler wieder hoch. Top, die Musik läuft.

 

So, ab nach Hause. Hatte ich eine Kühlbox mit Bier für die Elferräte bestellt? In der Kochtöpferei anrufen, Bier ordern. Die Räte würden mich töten, wenn sie keines hätten. Wo war nochmal der schmale Gürtel, der auf die schwarze Hose passt? Jedes Jahr das selbe. Nehme mir vor, ihn das nächste Mal im Kleiderschrank zur Elferratskappe zu legen. Die Frau fragen. Sie antwortet "Was weiß ich wo Du dein Kram hinlegst". Toll, keine Hilfe. Hauptsache sie steht in der Küche und kippt Zutaten für einen Eierlikör in den Thermomix. Als letztes schaue ich nach der Kappe, da ist auch der Gürtel. In meiner Genialität hatte ich die Idee wohl schon nach der Proklamation. So, jetzt noch die Lackschuhe putzen, WD40 ist ein geiles Zeug. Glänzen wie neu. Sollte bloß nicht auf die Sohle kommen. Kann man das auch als Deo nehmen? Nee, keine Experimente heute, besser richtiges Deo nehmen. Schnell noch eine Thermoskanne schwarzen Tee kochen, der wird mich den Rest des Tages über wach halten. Ist ja während den Auftritten für bis zu 30 Minuten nichts zu tun, nicht das ich einschlafe. Erste Bilder in der WhatsApp Gruppe vom Elferrat. Sie haben Zeit zum Vorglühen beim Lukas, bin ein wenig neidisch. Aber die Dappese suchen einen passenden KEG-Anschluss fürs 50 Liter Fass. Gute Pläne und Vorbereitung sind alles. Lernen die auch noch.

 

Ab gehts in die Halle. Auf der Bühne macht Daylight den Soundcheck und singt sich ein, zu: Wackelkontakt. Super. Da isser wieder. Wer denkt sich überhaupt so einen Text aus? Bazis! Hier steht ein Rollator mit Auspuff und Spiegeln. Der gelbe Stempel auf dem Nummernschild verrät, das der TÜV seit November '60 abgelaufen ist. Ich nehme mir eine Tasse Tee, gehe auf meinen heutigen Arbeitsplatz, ich begrüße die Band. Der Sänger ist heiser. Hoffentlich hält er bis zum Schluss durch. Er bekommt von meiner Frau den Eierlikör. Soll helfen. Die Band zieht die komplette Flasche binnen Sekunden weg. Waren alle heiser? Alexander kommt rein und trägt eine Kiste Fohr. 20-mal Kaliber 500. Entdecke einen rustikalen braunen Ohrensessel, offenbar Bühnendeko. Beim Anblick denke ich, da passt prima eine Lampe aus den 70ern dazu. Wie komme ich bloß darauf? Beschließe den Sessel während der Sitzung zum Ausruhen zu nutzen und dazu genüsslich eine Bombe zu trinken. Gute Pläne sind die halbe Miete. Hach, Läuft.

 

Die Halle füllt sich mit Gästen. Die Band spielt Karnevalshits. Der König möchte außerplanmäßig noch einen Tanz auf Wackelkontakt aufführen. "Hallo?" denke ich? Freundlich aber bestimmend weise ihn darauf hin, dass der Plan steht, dass die externen Künstler auch Folgeauftritte woanders haben. Für so was oder gar Heiratsanträge haben wir heute keine Zeit. Sonst müssen wir noch Sonntag Frühstück für unsere Gäste anbieten. Er muss auch seinen Auftritt bei den Karnevalsfreunden in Hundsdorf kurz halten. Um 20 Uhr ist sein Auftritt hier. Betone nochmal das alles auf den Punkt perfekt geplant ist! Gute Vorbereitung ist halt alles. Läuft.

 

19:05 Uhr. Ich hatte schon ein paar Elferräte gesehen, aber nicht alle. Ab ins Foyer. Da stehen die Jungs. Bekomme sofort ein Bier in die Hand gedrückt. Die Räte gezählt. Elf. Glück gehabt. Kurzer Blick auf die Uhr. 19:16 Uhr. Vor 5 Minuten hätte es losgehen sollen. Einen kurzen Moment später läutet es aus den Lautsprechern. Der Spaß beginnt. Alles fast im Plan. Pläne sind so wichtig. Läuft.

 

Der Musikverein spielt doppelt so lang. Und hat natürlich den Wackelkontakt im Repertoire. Toll, Futter für den Ohrwurm. Und auch für den Ablaufplan, der füllt sich unplanmäßig mit Minuten. Anschließend begrüßen wir die Zuschauer im Saal, geben ein paar Infos zum Ablauf durch. Pläne sind gemacht, dass jeder sich dran hält, auch gefälligst das Publikum. Dann ist die Juniorgarde dran. Ansage gemacht und von der Bühne runter. Hinter der Bühne hören wir die ersten Töne. Danach verstummt die Musik. Was ist jetzt passiert? Bandsalat wird es nicht sein. Das sind Probleme aus den 70ern. Es wird zur Regie gefunkt. Ich gehe raus auf die Bühne, schaue zur Band. Sie spielen schnell Wackelkontakt, die Halle tobt. Ich sehe hektisches Treiben in der Regie. Dann der Daumen hoch. Wir machen nochmal die Ansage. Die Musik läuft. Haben wohl jetzt den richtigen Plan. Pläne sind so wichtig. Schnell einen Tee. Läuft.

 

Dann kommt die Büttenrede vom Stuck. Ahh, dafür der Rollator. Tobi zeigt auf das Requisitenmerkblatt. Dort steht in fetten Buchstaben "Manuskript mit Anweisungen für die Band hat Jens". Das stimmt, ich hatte das per Mail angefordert, Tobi und Philipp in CC und geschrieben, Antwort bitte in diese Runde, dann hat das Skript jeder. Die Antwort kam auch prompt. Was ich aber nicht bemerkt hatte, die Mail ging nur an mich. Egal. Jetzt war handeln angesagt. Schnell den Anhang aufs Handy geladen und ab zur Band. Ich sag ich denen halt, wann welches Lied gespielt werden muss! Die Datei hat den Namen "Büttenrede_2025.odt". ODT??? Was ist das für ein Dateiformat? Im Appstore auf der Suche nach einem Anzeigeprogramm für ODT-Dateien. Und Stuck redet. Die Band spielt Tuschs, wo Sie es für nötig hält. Scheint zu passen, Stuck wirkt nicht überrascht. Alles Profis. Plötzlich sagt er selbst den Titel des ersten und zweiten Musikstücks an. Die Band spielt brav. Der Puls geht wieder runter. Entspannung. Auf dem Rückweg zur Bühne quatscht mich ein Kerl vom Männerballett an, ob die Regie alle Lieder für Ihren Tanz hat. Was für Fragen. Wir haben einen Top Plan. Ich entscheide mich für ein freundliches "natürlich" ohne es besser zu wissen. Läuft.

 

Hinter der Bühne angekommen wieder Hektik. Alles voller Gardemädchen, die wollen jetzt auftreten. Wo ist der König? Immer noch in Hundsdorf und zu allem Überfluss hat er dort wohl auch noch sein Tänzchen zu Wackelkontakt aufgeführt. Deren Plan ist bestimmt jetzt auch im Eimer. Die Möhnen werden nervös, haben einen Anschlusstermin. Eigentlich sollten sie erst nach unserem König auftreten. Was jetzt? Wir ziehen währenddessen schon mal die Büttenrede von Rudi vor. Selbst Tobi, der sonst immer die Ruhe weg hat wird langsam nervös. Alex weiß nicht ober er lachen oder weinen soll und entscheidet sich letztendlich fürs lachen. Telefonate nach Hundsdorf belegen, der König ist immer noch dort. Will der da übernachten? Wir schicken die Funken raus. Läuft alles nach Plan. Nicht.

 

Der Sänger sollte in 3 Minuten laut irgendsoeinem Plan anfangen zu singen, ist aber noch nicht aufgetaucht. Super, haben ja eh Verzug. Also schiebt Tobi den Plan. Inzwischen sind die Möhnen auf der Bühne. Machen auch einen Tanz, der nicht geplant war. WARUM? Inzwischen verliere ich den Überblick. Wer kommt als nächstes? Hab ich die richtige Moderationskarte im Sakko? Alles wechselt minütlich. An der Wand hängt ein Plan, versehen mit Pfeilen von einem Edding die auf andere Positionen zeigen. Könnte auch ein Strickmuster sein. Blickt da noch jemand durch? ich möchte weinen. Dazu habe ich keine Zeit. Ein Kwätschegardist quatscht mich an, er teilt mir mit, dass das Klopapier auf der Toilette leer ist. Ich sage ihm dass ich das in meiner nächsten Ansage sicherheitshalber dem Publikum mitteile. Er glotzt mich ungläubig an und geht weiter. Ich schaue auf den Ohrensessel. Laut meinem Plan wollte ich jetzt dort ein Bier trinken. Läuft - Nicht!

 

Auch Philipp wird ungehalten. Ich trinke aus meiner Tasse und überlege nächsten Samstag grünen Tee mitzubringen, der beruhigt. Endlich taucht König Wackelkontakt auf. Anscheinend hat er ein schlechtes Gewissen, er läuft gleich hinter Blau-Gold ein, lässt seinen eigenen Einmarschsong komplett weg. Er ist eine Stunde und elf Minuten zu spät. Auch den Wackelkontakttanz führt er nicht auf. Hätte dann auch wahrscheinlich den Rollator ohne TÜV für die nächsten Tage gebraucht. Er wäre nicht gut gelaufen.

 

Der Sänger ist endlich auch da. Seine Uhr kann er nicht lesen. Gut, da ist er mit unserem König in bester Gesellschaft. Ich trinke einen Tee. Der Elferrat weiß eigentlich, dass er sitzen bleiben soll, bis der Vorhang komplett geschlossen ist. Erste Elferräte stehen aber schon auf und gehen. Sind ordentlich angeschickert. Das Bier muss anscheinend raus. Jede Sekunde zählt. Läuft bei denen.

 

Kurz bevor die Pause rum ist checke ich den Elferrat. 4 Leute sitzen erst. Wo sind die Restlichen? Ich schreibe in die WhatsApp Gruppe. Weitere Räte treffen zögerlich ein, manche haben noch Currywurstschälchen in der Hand. Einer schreibt "Chill ma" zurück. Chillen? WIE? Ich zähle kurz durch. Christian von der Schloßgarde ruft an. Ich drücke das Telefon Tobi in die Hand, dann raus und anmoderieren. Schängel Brass macht nen geilen Job. Wackelkontakt auf Trompeten und Saxophon. Für meinen Ohrwurm läufts.

 

Ich erinnere mich an den Anruf. Kommt Christian mit seiner Truppe später oder gar nicht? Ab in Foyer. Die Schlossgarde und Christian sind da. Ich quatsche mit ihm, dann frage ich beiläufig warum er überhaupt angerufen hat. "Achso, unser Hofnarr ist ausgefallen" erzählt er mir. Wir hatten ausgemacht das der Hofnarr die Schlossgarde selbst ansagt. Also schnellstens zurück hinter die Bühne, eine Moderation schreiben. Läuft alles nach Plan. Aber nicht nach unserem.

 

Für die nächste Anmoderation stülpt man uns ein übergroßes Herz über. Bisschen lächerlich, aber jetzt ist auch alles egal. Dann Passion. Echte Profis. Endlich kann ich mir mal einen Jacky Cola gönnen. Saubere Gläser gibt es keine mehr also nehme ich meine Teetasse. Homer Simpson streckt darauf die Arme nach oben und in großen Buchstaben steht darauf "Never too old to Rock". Ich zweifle. Einige Elferräte wollten mich noch zur Party ins Foyer mitnehmen, glaube ich, denn ich verstehe sie nicht mehr wirklich. Ich will nur noch heim. Ich streichele noch einmal über den Ohrensessel. In der Bierkiste noch eine volle Flasche. Das wäre meine gewesen. War doch eigentlich ein Abend komplett nach Plan. Nur ein kleiner Wackelkontakt ab und zu.

 

 

Druckversion | Sitemap
© Karnevalsfreunde Blau-Gold e.V.